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KI-Stimme Hörbuch: Die andere Seite - Ein phantastischer Roman von Alfred Kubin

Hörbuch: Die andere Seite - Ein phantastischer Roman von Alfred Kubin

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ALFRED KUBIN

DIE ANDERE SEITE

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EIN PHANTASTISCHER ROMAN

VON

ALFRED KUBIN

MIT 52 ABBILDUNGEN UND EINEM PLAN

MÜNCHEN UND LEIPZIG BEI GEORG MÜLLER

·M·DCCCC·VIIII·

DIESES WERK WURDE GEDRUCKT BEI M. MÜLLER & SOHN, MÜNCHEN

DEM GEDÄCHTNIS MEINES VATERS

ERSTER TEIL

DER RUF

ERSTES KAPITEL

DER BESUCH

I.

Unter meinen Jugendbekannten war ein sonderbarer Mensch, dessen Geschichte wohl wert ist, der Vergessenheit entrissen zu werden. Ich habe mein möglichstes getan, um wenigstens einen Teil der seltsamen Vorkommnisse, die sich an den Namen Claus Patera knüpfen, wahrheitsgetreu, wie es sich für einen Augenzeugen gehört, zu schildern.

Dabei ist mir etwas Eigentümliches passiert: während ich gewissenhaft meine Erlebnisse niederschrieb, ist mir unmerklich die Schilderung einiger Szenen untergelaufen, denen ich unmöglich beigewohnt und die ich von keinem Menschen erfahren haben kann. Man wird hören, welcherlei seltsame Phänomene der Einbildungskraft die Nähe Pateras in einem ganzen Gemeinwesen hervorbrachte. Diesem Einfluss muss ich meine rätselhafte Hellsichtigkeit zuschreiben. Wer eine Erklärung sucht, halte sich an die Werke unserer so geistvollen Seelenforscher.

Ich lernte Patera vor sechzig Jahren in Salzburg kennen, als wir beide in das dortige Gymnasium eintraten. Er war damals ein ziemlich kleiner, doch breitschultriger Bursche, bei dem höchstens der schöngelockte Kopf antiken Zuschnittes auffallen konnte. Mein Gott, wir waren damals wilde, lümmelhafte Buben, was gaben wir viel auf Äusserlichkeiten? Trotzdem muss ich erwähnen, dass mir heute noch, als betagtem Mann, recht gut die etwas vorstehenden, übergrossen Augen von hellgrauer Farbe im Gedächtnis geblieben sind. Aber wer dachte denn in jenen Zeiten an das „Später“?

Nach drei Jahren vertauschte ich das Gymnasium mit einer anderen Lehranstalt, der Verkehr mit meinen ehemaligen Kameraden wurde immer spärlicher, bis ich schliesslich von Salzburg fort in eine andere Stadt kam und für viele Jahre alles, was mir dort bekannt war, aus den Augen verlor.

Die Zeit floss dahin und mit ihr meine Jugend, ich hatte inzwischen meine Studien vollendet und mich als Ingenieur in der Provinz niedergelassen.

Es war ein Winterabend, die Dunkelheit kroch schon lang in die Dämmerstunden, als an meine Tür gellte. Ich erwartete keinen Besuch. Meine Frau war mit den Kindern beim Besuch bei Verwandten in der Stadt. Ich sass vor einem glühenden Kachelofen und las die neuesten Fachblätter.

„Wer ist da?“ rief ich hinüber in den dunklen Flur.

„Ein Freund!“ ertönte eine tiefe, kehlig klingende Stimme.

Ich zögerte. Ich hatte lange Jahre keinen Freund aus Salzburg mehr gesehen. Der Klang der Stimme kam mir aus der Erinnerung vage bekannt vor, doch ich konnte ihn nicht feststellen.

Ich öffnete die Tür. Im Schein der schwachen Gaslaterne stand ein fremder Mann, von dessen Erscheinung mich ein unheimliches Gefühl durchzuckte. Es war ein riesenhafter Kerl, der mich anstarrte mit einem Blick, der mir eisig durch Mark und Bein fuhr. Er war in einen schweren, dunklen Mantel gehüllt, der ihn noch massiger erscheinen liess. Ich sah das Gesicht kaum, doch die hohe Stirn, die tief liegenden Augen, die dunklen, hageren Wangen sind mir noch heute in lebhafter Erinnerung. Die Nase war krumm, der Mund verzogen, die Lippen dünn und fast farblos.

„Haben Sie sich nicht verändert?“ sagte die Gestalt und klang beinahe lächelnd. „Ich bin Patera.“

Die Nennung dieses Namens traf mich wie ein Blitz. Patera! Mein alter Schulkamerad! Ich hatte ihn seit unserer Knabenzeit nicht mehr gesehen. Ich lud ihn zögernd ein, näher zu treten. Er betrat den Raum, ohne sein Mantel abzulegen, und sah sich um. Sein Blick ruhte auf den Bildern, den Büchern und den technischen Modellen, die den Arbeitsraum füllten. Er schien alles mit einem einzigen, alles durchdringenden Blick zu mustern.

„Sie sind Ingenieur?“ fragte er.

„Ja“, antwortete ich verwundert. „Und Sie? Was hat Sie nach dieser langen Zeit zu mir geführt?“

„Die Zufälle des Lebens sind seltsam“, erwiderte er. „Ich bin in diesen Teil des Landes gekommen, um Geschäfte zu erledigen. Ein alter Freundschaftsbund hat mich veranlasst, Sie aufzusuchen. Ich habe lange Zeit im Ausland zugebracht.“

Er sprach in einer merkwürdigen Mischung aus Hochdeutsch und einem Dialekt, den ich nicht kannte, doch seine Worte waren klar und deutlich. Er war verändert, ja, er war schrecklich verändert. Aus dem jugendlichen Burschen war ein Mann geworden, dessen Antlitz von einer unheimlichen Intensität zeugte. Die Augen, die mir damals schon aufgefallen waren, schienen jetzt noch grösser, noch dunkler, noch eindringlicher. Sie schienen eine innere Glut zu bergen, die mich zugleich faszinierte und abstiess.

Ich bot ihm einen Stuhl an, doch er blieb stehen. Er sah mich an, als müsste er sich vergewissern, ob ich wirklich der sei, für den ich mich ausgab.

„Sie sind der einzige, den ich in dieser Gegend kenne“, sagte er. „Ich muss Sie bitten, mich für ein paar Tage bei sich aufzunehmen.“

Ich war überrascht. „Aber Patera, es ist gerade jetzt etwas ungünstig. Meine Frau und die Kinder sind verreist, und es ist kalt im Hause.“

„Das tut nichts zur Sache“, entgegnete er mit einer Entschlossenheit, die keinen Widerspruch duldete. „Ich bin müde von der Reise und hungrig. Ich werde mich still verhalten und niemanden stören.“

Ich gab nach. Was hätte ich auch tun sollen? Ein alter Freund, den ich seit Jahrzehnten nicht gesehen hatte, stand vor mir, und er schien in einer Lage zu sein, in der ich ihm nicht verwehren durfte, das Nötigste zu finden.

Ich machte ihm ein Lager im Gästezimmer und liess ein einfaches Mahl bereiten. Patera ass wenig, trank aber viel Wein, den ich ihm anbot. Er sprach kaum über sich, wich allen Fragen aus, die seine Vergangenheit oder seine jetzigen Geschäfte betrafen. Er war geheimnisvoll, und seine geheimnisvolle Art wirkte auf mich beunruhigend.

Nach dem Essen sassen wir lange im Salon. Patera stand am Fenster und blickte in die dunkle Winternacht hinaus. Die Gaslaternen warfen nur schwache Scheine in den Raum. Ich versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen, fragte nach Salzburg, nach unseren alten Kameraden. Er antwortete nur kurz und ausweichend.

„Die Vergangenheit ist tot“, sagte er schliesslich mit einer leisen Stimme, ohne sich umzudrehen. „Was uns heute beschäftigt, ist das Ewige.“

„Das Ewige?“ fragte ich verwirrt.

„Ja“, fuhr er fort. „Das, was sich jenseits der Fassaden verbirgt, das Unaussprechliche, das Echte.“

Er drehte sich um. Sein Gesicht war im Halbdunkel von einer seltsamen Glut beleuchtet.

„Ich habe lange gesucht“, sagte er, und seine Stimme wurde lauter, vibrierender. „Ich habe gesucht, bis ich es fand. Eine Welt, die noch nicht erschaffen ist, die aber schon ist. Eine Welt hinter der Welt.“

Ich fühlte, wie mein Blut zu gefrieren begann. Ich dachte, Patera sei verrückt geworden.

„Patera, mein Freund“, sagte ich vorsichtig, „Sie sind müde. Erzählen Sie mir lieber etwas von Ihren Reisen.“

Er lachte kalt. „Reisen! Reisen sind nur ein Vorwand. Ich habe eine andere Seite gesucht. Ich habe sie gefunden. Sie heisst Perle.“

In diesem Moment schien es mir, als würde das Licht der Gaslaterne flackern und erlöschen, obwohl ich wusste, dass das Gas in Ordnung war. Die Schatten im Raum begannen sich zu bewegen, unnatürlich lang zu werden, zu tanzen.

„Kommen Sie mit mir“, sagte Patera, und seine Augen glühten wie Kohlen. „Kommen Sie mit mir in mein Reich. Dort werden Sie die Wahrheit sehen.“

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